Die Kinder aus St. Petersburg
Bilder einer Tournee des Aachener Kinderzirkus Pinocchio durch St. Petersburg 2009.
Kinderzirkus Pinocchio
Im Jahre 1995 hat Josef Steinbusch den Zirkus für die Kriegskinder aufgebaut, die den Krieg in Bosnien-Herzegowina im April 1992 und das Massaker an der bosnisch-muslimischen Bevölkerung in Srebrenica im Juli 1995 erleben mussten.
Pinocchio ist ein Kinder-mitmach-Zirkus. Nicht die Leistung der Kinder zählt, sondern die Erfahrung, dass sie unabhängig von Volks-, Religions- und Kulturzugehörigkeit gemeinsam ein Zirkusprogramm einstudieren und präsentieren können. Das Zirkusprogramm ist für ca. 70 Kinder konzipiert. Josef Steinbusch arbeitet mit dem Konzept des traditionellen Zirkus ohne aufwendige Maschinerien und dramatische Effekte.
Jährliche Tourprogramme gehen nach Bosnien-Herzegowina, Russland und Großbritannien, wo Kriegswaisenkinder und kriegstraumatisierte Kinder das Programm einstudieren.
In Belfast nehmen katholische und protestantische Kinder teil; in St. Petersburg aids- und krebskranke Kinder. Kooperationspartner sind dort die Sir-Peter-Ustinov-Stiftung und die Deutsch-Russische Gesellschaft.
In der Region Aachen nehmen Schulen und Kindertagesstätten an dem Projekt teil.
Finanziert wird das Projekt über Spenden engagierter Menschen und Organisationen und über die Eintrittsgelder.
Im September 2007 wurden der „Zauberclown Juppino“ und der Aachener Kinderzirkus Pinocchio mit dem renommierten und hoch dotierten Aachener Friedenspreis des Jahres 2007 ausgezeichnet.
Photographien von Katja Mummert
Diesen Sommer, 2009, wurde ich von dem Kinderzirkus Pinocchio beauftragt, seine vierwöchige Tournee durch St. Petersburg zu dokumentieren.
Für mich war das eine gute Möglichkeit, mein Thema Kirmes, das ich schon seit Längerem verfolge, zu erweitern. Denn beide Bereiche haben für mich zu tun mit Reisen, Illusionen und Schauspielerei.
Meine Aufgabe war es, die komplette Zirkustournee zu dokumentieren.
Ich photographierte also An- und Rückreise, die Organisation der Tournee, Krankenhausauftritte von Josef Steinbusch, die Proben der Kinder mit dem Zirkusdirektor, Arbeiten hinter den Kulissen, Generalproben, Aufführungen der Kinder an verschiedenen Orten und natürlich auch die Erlebnisse zwischen den Zirkusterminen.
Mein zusätzlicher Wunsch war es, Porträts der Kinder zu entwickeln.
Ich stellte mir Photos der Kinder mit und ohne Masken, vor und hinter der Manege vor.
Das Zirkusteam klärte mich jedoch vorher schon darüber auf, dass bei dieser Art von Reise nur wenig zu planen sei. Oft würden Dinge umgeschmissen, gestrichen oder auch einfach vergessen. Auch Wartezeiten sollte ich einplanen.
Ich musste mich also darauf einlassen, erst vor Ort genau entscheiden zu können, wen ich wo und wann photographieren kann.
Kinder schlüpfen in eine andere Rolle, dürfen mal jemand ganz anders sein. Sie bekommen die Möglichkeit, sich darzustellen und, ganz wichtig, den Applaus dafür zu kassieren. Sie dürfen vielleicht endlich mal zeigen, was sie können, und es wird ihnen zugehört, ihnen wird Beachtung geschenkt.
Zusammen erleben sie Erfolg und Annerkennung.
Welchen Wandel machen sie durch, wenn sie in das Affenkostüm steigen, sich die Herkulesmuskeln in ihr Kostüm stopfen oder die Clownsnase anschnallen?
Erkennen sie sich wieder oder spielen sie ihre Traumrolle?
Ich porträtierte die Kinder also erst mal ohne Kostüme in der Manege. So wie sie sind und wie wir sie respektieren sollten.
Der Hintergrund: prächtige schrille Farben und der goldene Stern, auf dem sie stehen.
Ich schlug ihnen vor, sich eine Rolle aus dem Zirkusbereich auszudenken und diese vor der Kamera zu spielen. Hilfreich waren dabei die restlichen Kinder im Hintergrund. Sie animierten ihre Freunde und riefen ihnen die verschiedensten Rollen zu. Primaballerina, Zauberer, Rennfahrer, um nur einige zu nennen.
Die Betreuer halfen mir ab und zu bei der Übersetzung. Richtig sprachlich verständigen konnten wir uns jedoch nicht, auch wenn ich vorab ein paar russische Sätze gelernt hatte.
Jetzt wurde geprobt.
Alle Kinder verwandelten sich in Tiere, Helden oder Superstars. Ich photographierte sie hinter der Bühne. Ohne Glamour, im Flur oder im Hinterhof.
In meinen Porträts zeige ich, wie sie sich in ihrer Rolle darstellen oder auch verstellen.
Bleiben sie sie selbst oder werden sie zu Fantasiefiguren?
Hier musste ich so gut wie keine Anweisungen geben. Die Kinder verstanden es von selbst, sich zu positionieren und darzustellen. Sie fühlten sich in ihrer Verkleidung stark, sicher und irgendwie auch unverwundbar.
Als sie ohne Kostüme auf der Bühne standen, hatte ich den Eindruck, dass sie unsicherer waren und nicht richtig wussten, was sie mit sich anfangen sollten. Sie mussten von mir erst Anweisungen bekommen, um ihre Position zu finden.
Hinter der Bühne und mit ihrer Maske jedoch tauten sie auf und gaben alles. Sie hatten für sämtliche Rollen, einige spielten direkt mehrere, sogleich die passende Gestik oder Mimik bereit.
Ihr Selbstbewusstsein stieg mit Herkules, der starken Putzfrau und dem Fakir.
Und genau das ist es, was ich zeigen will.
In der Manege des Lebens haben die Kinder nicht immer ihre Position gefunden oder sind von Unsicherheit geplagt.
Dennoch ist das das Kind, welches wir respektieren müssen.
Es braucht keine Maske oder Verkleidung, um wichtig zu sein.